|
"Deutsche
Freiheitsstatue“, Performance auf der Domplatte,
Köln Mit seinen Übersprühungen diversifiziert
Thomas Baumgärtel die Kunstgeschichte im Geist
von Marcel Duchamp Der Stecher nennt Thomas Baumgärtel
ein manipuliertes Ölgemälde. Es misst 78
mal 108,5 Zentimeter, besitzt einen goldenen Rahmen
und zeigt eine unbekleidete Schöne mit offenen
Haaren und glückseligem Gesichtsausdruck, die
sich auf einem weißen Laken rekelt. Ihre rechte
Hand ruht auf ihrem rechten Oberschenkel, während
sie die erhobene Linke einem Vogel darbietet. Das
Laken ist so drapiert, dass es ihre Scham bedeckt.
Am Fußende fällt das Bild aus Raum und
Zeit. Die Aktdarstellung verliert an zentraler Bedeutung,
die Komposition bekommt eine zweite Ebene. Ein Fremdkörper
macht sich breit. Im Stil einer Comicfigur greift
eine Art züngelnder Bananenlurch die Liegende
an. Thomas Baumgärtel hat ihn plakativ an den
rechten Bildrand gesprüht. Im Laufschritt steuert
das poussierliche Geschöpf auf sein Ziel zu.
Ganz so, als sei es der griechische Göttervater
selbst – in tierischer Gestalt – , der
da die Maid überrascht. Leda und der Schwan mögen
das Vorbild gewesen sein für diese intime Szene
mit kalkuliertem Stilbruch. Frevel, Frechheit, Firlefanz?
Völlig ungeniert setzt sich Thomas Baumgärtel
in ein fremdes Nest. „Der Stecher“ ist
kein Einzelfall. Er zählt zur Werkgruppe „Die
Alten Meister und die Banane“: Übersprühungen,
mit denen der Bananensprayer vor zehn Jahren begann.
Grundsätzlich besitzen sie eine malerische Grundlage,
die zunächst mit einer anderen Autorschaft als
der seinen verbunden ist. Kontinuierlich bananisiert
Baumgärtel die Arbeit von Kollegen. Im Falle
der Übersprühungen sind deren Namen jedoch
unbekannt. Hinlänglich im kollektiven Gedächtnis
verankert sind dagegen die Motive: der röhrende
Hirsch, der Sonnenaufgang im Gebirge, das Seestück
mit Segelschiff. Zielgerichtet zwingt Baumgärtel
diesen gefundenen, weitgehend wertlosen Bildern seine
Bananenfiguren auf. Parallel dazu betrachtet er jedoch
auch berühmte Bilder als Verfügungsmasse
und Werk-Stoff. Weit trieb er bereits deren Verfremdung
mittels Spraybananen, paraphrasierte Arcimboldo oder
Picasso. Zentimetergroße Schablonen dienten
ihm dazu, ikonisierte Motive zu verpoppen. Immer wieder
– das ist Teil seiner langfristigen Strategie
– macht Thomas Baumgärtel klar, dass in
seinem „Fruitopia“ noch viele Früchtchen
Platz haben. Im Rahmen der Werkgruppe „Die Alten
Meister und die Banane“ bedient er sich auf
eine Weise kunsthistorischer Gegebenheiten, die seinem
fruchtigen ‘uvre eine bittersüße
Facette verleiht. Offenkundig hat ihn die Nostalgiewelle
erreicht und die Lust an greller Kolportage nicht
verlassen. Mit der Banane rückt Baumgärtel
spitzbübisch Alten Meistern auf den Leib, die
streng genommen keine sind. Im Zeichen seiner symbolischen
Signatur eignet er sich systematisch bereits existierende,
aber nicht weiter bemerkenswerte Bilder an: Ölgemälde
und Reproduktionen, die er auf Flohmärkten oder
in Trödelläden abstaubt. Nicht, um sie aufzuhängen,
sondern um sie aufzufrischen. In einem kühnen
Akt der Appropriation überführt Thomas Baumgärtel
das Abgelegte in die herrschende Alltagskultur und
macht es verfügbar für den aktuellen Diskurs.
Mit einem Landschaftsgemälde: „In den Tiroler
Bergen“, begann er seine Verfremdungsaktion:
„1994 habe ich erstmalig eine Reproduktion einer
typischen Gebirgslandschaft, wie sie bayerische Haushalte
zum Teil noch heute überm Sofa hängen haben,
mit einer Banane übersprüht, weil ich dachte,
das Bild ist so schrecklich, damit kann man sowieso
nichts mehr anfangen.“(1) In der Folge besprühte
Baumgärtel zunehmend Originale mit Bananen. In
den Grauzonen der Kunstproduktion – zwischen
Kopisten- und Fälscherware –, und staubigen
Arsenalen, wo Hausrat von vorgestern vermodert, hat
er herumgeschnüffelt und seine Funde mit poppigen
Eingriffen für die zeitgenössische Anschauung
aufbereitet. Insbesondere ruft ihn der Berg. Ölgemälden,
die Gebirgslandschaften zeigen: ein klassisches Motiv
der Landschaftsmalerei, verleiht er eine exotische
Note, indem er etwa einen Berg Bananen hineinmogelt
– oder ein ins bananige gewendetes Logo von
McDonald’s. Deshalb ist Baumgärtel noch
nicht antiromantisch. Tatsächlich verhandelt
er Aspekte stimmungsbetonter Malerei neu. Die Wirkung
solcher Anverwandlung ist verblüffend. In dem
Moment, in dem die übersprühten Werke im
Ausstellungszusammenhang rezipiert werden, bekommt
der Akt des humoristischen Facelifts eine Legitimation.
Mit einem Mal erfährt ein Bild, das zuvor nicht
beachtet worden wäre, erhöhte Aufmerksamkeit.
Im Sinne von Duchamp, der festhielt „dass ein
Kunstwerk erst existiert, wenn der Betrachter es angeschaut
hat,“ versetzt Baumgärtel Nichtbilder gleichsam
in einen neuen Aggregatzustand, verhilft ihnen zu
einer Existenz als Kunstwerk. Indem er Vorgefundenes
bearbeitet, erschließt er dem Fundstück
eine neue Rezeptionsebene. Die Übersprühungen
sind planvolle Überhöhungen. Die Banane
befruchtet buchstäblich die Komposition. Für
die Kunstgeschichte zu-nächst verlorene Bilder
kommen heraus aus ihrem Dunstkreis. Die phantasievollen
Variationen der gelben Spraybananen, die sich an so
vielen Museen und Galerien befinden und als Echtheitszertifikat
gewertet werden, verschaffen den anonymen Werken eine
Aura. Sie wird wesentlich konstituiert durch das Moment
der Ironie. Der Bananensprayer jongliert damit versiert.
Er war von Anfang an ein Provokateur mit clownesken
Zügen. Seine Werkzeuge sind die optische Irritation
und der visuelle Witz. Um damit nach außen zu
dringen, hat Baumgärtel die Ästhetik des
Alltags studiert sowie aus dem Arsenal von Reklamefeldzügen
geschöpft. Er reflektiert die Strategien der
Konsumgüterindustrie. Die Werbung spült
ins kollektive Bewusstsein Konsumartikel, respektive
deren Bilder, solange, bis keiner mehr an ihm vorbeikommt.
Baumgärtels Banane ist im Grunde nichts anderes
als eine Niveadose oder eine Ray Ban-Brille. Man kann
leicht leben ohne Nivea, ohne Ray Ban und ohne Bananen.
Erst wenn man die Dinge an jeder Ecke sieht, will
man sie haben. Wenn mehr als 4000 Kunstinstitutionen
eine Spraybanane am Revers tragen, ist klar, dass
die Begehrlichkeit wächst. Baumgärtels Kunst
ist auch eine lakonische Antwort auf die Mechanismen
der Markengesellschaft. Er beschäftigt sich mit
Fragen von Mehr- und Marktwert.
|
|
Nicht von ungefähr hat er seine Übersprühungen
– auf Einladung der Galerie Brunnhofer –
anlässlich der Linzer Veranstaltungsreihe „EchtFalsch“
erstmals öffentlich als Werkkomplex präsentiert.
Dort ging es um Kunst als handelbare Ware sowie die
Voraussetzungen dafür. Es ging um Praktiken der
Konsumgüter-, Werbe- und Medienindustrie, um Markenverständnis
und auch um Markenpiraterie. Baumgärtels Werkgruppe
berührt einen erweiterten Kunstdiskurs. Man kann
die Übersprühungen als Teil einer Werbestrategie
für eine inzwischen gut aufgestellte Marke sehen.
Der Markenname: Thomas Baumgärtel. Der Mann selbst
ist seine Kunst. Nicht erst dann, wenn er im Bananenanzug
auftritt, behauptet er die Einheit von Autor und ‘uvre.
Baumgärtel ist sein eigener Kunstgegenstand aus
dem Geist des Graffiti. Als solcher befriedigt er viele
Bedürfnisse. Der Bananensprayer ist ein subtiler
Spötter, der dem Kunstbetrieb mit seinem kultischen
Tun und seiner komischen Sendung gleichermaßen
den Spiegel vorhält. Ganz gleich, ob es Museumsmauern
oder Politikerporträts sind, die Baumgärtel
mit Solitärbananen besprüht oder aus einem
kleinteiligen Bananenraster aufbaut – er bleibt
ein Verstörer. Er ist der Kabarettist der Hausmauern,
dessen Brettl die Banane (-nschale) ist. Ausrutschen
tun darauf freilich immer die anderen. Seine Vorgehensweise
ist dabei immer schon eine konzeptuelle. Basis seines
Tuns ist die Aneignung. Mit hintergründiger Heiterkeit
nimmt er das Authentische ins Visier. Ein wesentlicher
Aspekt der Übersprühungen ist die Echtheitsfrage.
Nun wird insbesondere die Kunstgeschichte die Frage
nach Original und Fälschung bis zum letzten Atemzug
beschäftigen, der der Disziplin vergönnt ist.
Zwischen den Polen Könnerschaft und Kopie scheiden
sich die Geister. Das wesentliche Kriterium bei der
Beurteilung und Wertschätzung eines Artefakts bleibt
seine Echtheit und Originalität. Mit seinen Ready-mades
begann indes Duchamp diese Überzeugung zu hintertreiben.
Er katapultierte die Kunstwissenschaft in eine neue,
bis dahin beispiellose Dimension, nötigte sie,
Beurteilungskriterien zu überdenken. Auch der Bananensprayer
verlässt den konservativen Weg. Thomas Baumgärtel
kultiviert das Rebellentum im Sinne eines entgrenzten
Kunstbegriffs. Der erste Schritt waren die Bananengraffitis
an Museumsmauern und Kunstgalerien. Mit seinen Übersprühungen
Alter Meister stellt er seine Arbeit nunmehr in den
Traditionszusammenhang der Ready-mades und knüpft
an Duchamp an. „Das erste ausdrücklich als
Werk Duchamps publikgemachte Ready-made“(2) ist
ja die Mona Lisa mit Kinnbart und Schnäuzer. Auch
Baumgärtel bearbeitet historische Gemälde
in einem ironisch aufbegehrenden Akt. Duchamps Mona
Lisa darf als seine Referenzfigur gelten. Bezeichnet
als „Dada-Bild von Marcel Duchamp“ erscheint
die Königin der Kunstgeschichte 1920 auf dem Titel
von Picabias Zeitschrift 391. „Da Duchamps Original
nicht vorliegt, macht Picabia für diesen Zweck
eine Replik, fügt aber nur den Schnäuzer hinzu
und vergisst das Bärtchen.“(3) Interessant,
dass die Arbeit von Duchamp den Status eines Originals
konzediert bekommen kann. Keine Rolle spielt dafür,
dass der Wegbereiter der Moderne von einer Postkartenreproduktion
der Mona Lisa ausgegangen war. Durch einen minimalen
Eingriff – den verfremdenden Bart – wurde
aus dem reproduzierten Leonardo ein gefeierter Duchamp.
Dass der Künstler mit seiner Mona Lisa einen künstlerischen
Coup landen konnte, ist drei Umständen zu verdanken.
Die Verfremdung ist aufsehenerregend, der ’Fälscher’
kein Niemand, die Zeit war reif für die Tat. Duchamp
erweiterte den Wirkungsradius der Mona Lisa. Er machte
sie zur Ikone des Dadaismus. Statt zu Barthaaren greift
der Bananensprayer zu Bananen, statt zur Reproduktion
zum Original. Eine subtile Form von Neodadaismus ist
es, die Thomas Baumgärtel im Falle des Altmeisterzyklus
praktiziert. Während der Dadaismus auf das harmonisch
Schöne drosch und sich vom Wohnzimmerbild distanzierte,
benutzt Baumgärtel das Wohnzimmerbild beharrlich,
um das harmonisch Schöne zu befragen. Das Antibürgerliche
und Satirische, das den Dadaismus kennzeichnete, prägt
auch seine Übersprühungen. Indem er dem Wertlosen
einen Wert verleiht, solidarisiert er sich zugleich
mit dem Trivialen. Die behauptete Gleichzeitigkeit des
Ungleichzeitigen ist sein Garant für erhöhte
Aufmerksamkeit. Ein Satz von Rodin – geäußert
angesichts von Géricaults „Derby in Epsom“
– kommt bei der Betrachtung der Übersprühungen
in den Sinn. „Das Gesamtbild ist in seiner Gleichzeitigkeit
falsch; es ist aber richtig, wenn die einzelnen Bestandteile
nacheinander betrachtet werden. Und es ist nur diese
Wahrheit, die zählt, weil sie es ist, die wir sehen,
und die uns ins Auge springt.“(4) Das Gesamtbild
ist auch bei Baumgärtel in seiner Gleichzeitigkeit
falsch, doch der moderne synthetisierende Blick macht
mühelos eine Ganzheit aus – auch und gerade
dann, wenn die einzelnen Bestandteile nicht nacheinander
betrachtet werden. Rund 50 Übersprühungen
sind inzwischen entstanden. Komische, aber auch melancholische
Bearbeitungen von Kunstwerken, die sonst kaum noch jemand
wahrgenommen hätte. Wie stets ist auch hier die
Bananenspur, die Baumgärtel legt, Leitidee und
Leitfaden. Anders als die Graffiti erregen jedoch die
Übersprühungen bei empfindlichen Zeitgenossen
keinen Zorn, sondern rufen eher ein leises Lächeln
hervor. Thomas Baumgärtel produziert im Kontext
dieser Sonderform seiner Bananenphilosophie Kitsch as
Kunst can. Zivilisationsmüll verleiht er das Zertifikat
der Zeitgenossenschaft. Vergessenes, Verdrängtes
sowie Verlogenes wird zum Substrat für einen subjektiven
Kunstbegriff, der Randständiges nobilitiert. Plötzlich
erscheinen die alten Schinken brandneu. Sie wirken wie
marktfrische Ware. Bananisiert erheben sie den Anspruch
auf Ausstellbarkeit in seriösen Kunsträumen.
Was beweist: Bananisierung ist ungleich Banalisierung,
sondern das Gegenteil davon. Thomas Baumgärtel
gelingen mit seinen krummen Dingern dialektische Rösselsprünge.
Im Lexikon steht die Banane zwischen banal und Banause.
Banal finden können Baumgärtels Bananen fürwahr
nur Banausen. Und die Bananisierung geht weiter. „Heute
stehen mir über hundert verschiedene Metamorphosen
der Spraybanane als Motive zur Verfügung“,
sagt Baumgärtel.(5) Man darf auch diesbezüglich
vom planmäßigen Gestaltwandel mit verführerischer
Zielrichtung sprechen.
Zitat aus bananensprayer.de
151 Sehenswuerdigkeiten im Rheinland weiter zur nächsten Sehenswürdigkeit
|
|