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Eine
kosmogene Parklandschaft Kann ein Garten die Phantasie
fesseln und zugleich das dynamische Wesen des expandierenden
Universums offenbaren? Charles Jencks, namhafter Architekturtheoretiker
und bekennender Postmodernist, ist davon überzeugt:
«Künstler und Architekten müssen,
wenn sie die neue Welt in ihrer Dynamik und Fruchtbarkeit
darstellen wollen, entweder neue Sprachen suchen oder
bestehende Sprachen weiterentwickeln. Das Leben der
Formen in der Kunst ist das Maß der Kosmogenese.
In diesem Sinne ist eine Ästhetik der Kreativität
die letzte Instanz des kosmischen Prozesses.»
Hinter dem Begriff Kosmogenese steht Jenck s Auffassung,
dass das Universum, entgegen den traditionellen Modellen
von Religion und Wissenschaft, nicht etwa ein präziser
Mechanismus sei, sondern ein Prozess, dessen Geschichte
durch kreative, überraschende Organisationssprünge
geprägt werde. In seinem 1997 erschienenen Buch
«The Architecture of the Jumping Universe»
erläutert der amerikanische Architekt seine faszinierenden
Theorien, die er an renommierten Architekturschulen
in England und den USA lehrt. In der rauhen Hügellandschaft
des südschottischen Dumfriesshire verwirklicht
Charles Jencks seit etwa zehn Jahren einen außergewöhnlichen
privaten Park, in dem die Erkenntnisse seiner wissenschaftlichen
Beschäftigung mit Komplexitätstheorien in
Erdformationen, Skulpturen und Gartenmotiven Gestalt
annehmen. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1995 wirkte Jencks'
Ehefrau Maggie Keswick, renommierte Expertin der Geschichte
chinesischer Gartenkunst und Geomantie, nicht nur
wesentlich an der Umgestaltung des etwa 120 Hektar
großen Familiensitzes mit, sondern entwickelte
zusammen mit ihrem Mann, unterstützt von Wissenschaftern
und Künstlern, neue Formen und Metaphern für
die Geschichte des Kosmos. So entstand eine eigentümliche
Kombination chinesischer Gestaltungselemente mit Motiven
der Chaostheorie und der Kosmologie. Die «Symmetry
Break Terrace», eine großzügige Geländeterrasse
vor dem Herrenhaus, ist zunächst eine visuelle
Metapher für die wichtigsten Organisationssprünge,
die das Universum seit seiner Entstehung vollzogen
hat: von der Energie zur Materie, zum Leben und schliesslich
zum Bewusstsein. Gartenhistorisch ist die Terrasse
zudem Teil des «Earth Dragon» chinesischer
Tradition und darüber hinaus eine Neuinterpretation
des klassischen «Ha-Ha», einer für
den Besucher unsichtbaren Geländestufe, mit der
schon in den traditionellen englischen Landschaftsgärten
der Eindruck erweckt wurde, der Garten ginge grenzenlos
in die Wald- und Weidelandschaft über. In Jencks'
Garten bilden zwei wellenförmig miteinander verschnittene
Stützmauern aus Naturstein dieses raffinierte
Grenzelement.
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Seine Fortsetzung, und damit die Metapher für den
letzten Organisationssprung zur Stufe des Bewusstseins,
bildet eine geschnittene Eibenhecke, die in weitem Bogen
das Herrenhaus auf der Anhöhe umfängt. Folgt
man dem Weg vom Herrenhaus hinab in die breite Talsohle
des Flusses Nith, erreicht man den ummauerten «Physics
Garden». Diesen Küchengarten, den Maggie
Keswick in traditioneller Weise funktional gestaltete,
widmet Jencks der menschlichen DNA und den sechs Sinnen.
Sechs, nicht fünf, denn er fügt als sechsten
Sinn des Menschen die Intuition hinzu und reichert den
Garten mit Skulpturen und chiffrierten Sinnsprüchen
an. Vier grosse Aluminiumskulpturen versinnbildlichen
die DNA-Doppelhelix und repräsentieren den Geschmackssinn,
den Gehörsinn, den Tastsinn und eben die Intuition.
Der Geruchssinn und das Sehen sind hingegen figürlich
als überdimensionale Nase und in Form einer Grotte
mit optischen Installationen dargestellt. In den von
niedrigen Buchshecken eingefassten Beeten gedeihen Pflanzen,
die den jeweiligen Sinn besonders stimulieren. So ist
die Skulptur des Tastsinns umgeben von Disteln, Brennnesseln
und Eselsohr, während die begehbare Erdmulde um
die Nase mit aromatisch duftenden Pflanzen wie Oregano,
Lavendel und Thymian bepflanzt ist. Im «Physics
Garden» steht weniger die Kultivierung von Küchenkräutern
als vielmehr die ästhetische Verarbeitung umfassenden
Wissens im Mittelpunkt, und es verwundert nicht, dass
Maggie Keswick gelegentlich bei Ian Hamilton Finlay
im wenige Stunden entfernten «Little Sparta»
zu Gast war. Wohltuenden Ausgleich zur gestalterischen
und konzeptionellen Fülle des «Physics Garden»
findet man wenige Schritte weiter zwischen atemberaubend
elegant geformten Erdhügeln und grandiosen Wasserflächen.
In ihrer Komposition erinnern sie an den klassischen
englischen Landschaftsgarten Studley Royal aus dem achtzehnten
Jahrhundert. Von der Spitze des etwa 15 Meter hohen
«Snail Mound», eines mit Rasen begrünten
Erdkegels, genießt man einen herrlichen Blick
in den von Bäumen und Sträuchern gesäumten
Landschaftsgarten und die umliegenden Lowlands. Das
Pendant zum Schneckenhügel, den man über zwei
spiralförmig geführte, in paradoxer Weise
manchmal leicht abfallende Wege besteigt, ist der «Snake
Mound». Diese über 120 Meter lange s-förmige
Erdwelle aus elegant gespannten Erdschleifen fasst räumlich
die «Slug Lakes», drei Seen, die wie Himmelsspiegel
in der Landschaft liegen. Auch in diesem Teil des Parks
verbinden sich auf der Basis der Komplexitätstheorie
Elemente klassischer englischer Gartenkunst mit fast
extraterrestrisch anmutender Land Art zu hybrider Landschaftsarchitektur,
die die Sprache der Gartengestaltung weiterentwickelt
und ein neues, dynamisches Weltbild vermittelt.
Zitat aus nextroom.at von Udo Weilacher
151 Sehenswuerdigkeiten im Rheinland weiter zur nächsten Sehenswürdigkeit
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